Michael, mein Marathon-Engel

Laufbericht Marathon Düsseldorf

Engel im Alltag. Es gibt sie wirklich. Weiß eigentlich jeder.  Was ich bisher nicht wusste, es gibt diese Engel auch beim Marathon. Echt jetzt. Es war nämlich so:

Nach dem erfolgreichen Halbmarathon im Bienwald steht schnell für mich fest: Ich hänge noch ein paar lange Läufe dran und nutze meine gute Form, um den 2. Marathon meines jungen Läuferlebens zu bestreiten. Diesmal nicht St. Wendel, sondern den zeitgleich stattfindenden Marathon in Düsseldorf.

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Düsseldorf, Sonntagmorgen, 7:30 Uhr

Zugegeben, Düsseldorf ist nicht gerade um die Ecke. Um 3:00 nachts aufstehen,  um sich 42,2 Kilometer zu quälen, grenzt schon irgendwie an Masochismus. Aber so sind wir halt, wir Läufer.

Kurz vor Anmeldeschluss hat sich dann noch ein Engel entschieden, eben diesen Marathon als Pacemaker mitzulaufen, und zwar „zufällig“ in meiner Wunschzeit: Sub 3:30: „Erzengel Michael“ alias Michael Zender. Eigentlich ein Läufer-Gott, aber als Engel macht er auch eine super Figur.

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Michael, mein Marathon-Engel.

Mit ihm an meiner Seite kann ich die 3:30er Marke knacken. Das wäre dann allerdings 9 Minuten schneller als mein letzter Marathon. Eine Hausnummer.

So ein Marathon-Engel hat natürlich viele Schutzbefohlene. Aber irgendwie ist er doch die ganze Zeit mein persönlicher Engel.

Um es gleich vorwegzunehmen: Mit Engels Hilfe habe ich mein Ziel erreicht: 3:29:31!

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Ein Traum wird wahr.

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Es ist einfach klasse, wenn Du Deinem Engel vertrauen kannst, weil Du sicher bist, dass er genau weiß, was er tut, wie schnell oder langsam er laufen muss.

Und das ist in Düsseldorf alles andere als einfach. Auf das GPS kann man sich auf der kurvenreichen Strecke in den engen Häuserzeilen nämlich überhaupt nicht verlassen. Im Ziel habe ich 42,83 km auf der Uhr. Da kannst Du die angezeigte Pace auf der Uhr vergessen. Du musst bei jedem Kilometer Zeiten checken, vergleichen, rechnen. Kurzum: Stress für einen Läufer am Limit.

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Da spielt selbst das beste GPS verrückt.

Mit einem Engel an Deiner Seite kannst Du das getrost abhaken. Verlass Dich einfach auf einen, der es gut mit Dir meint. Und Michael meint es gut mit mir. Er holt mir Wasser an der Wasserstelle, merkt sofort, wenn ich schwächle, motiviert mich, wenn ich es am nötigsten habe.

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Wasser!

Bei Kilometer 8 oder so, kündigt Michael kurz an, dass er mal eben ins Gebüsch muss. Mich drückt es irgendwie auch schon die ganze Zeit. Hätte aber nie gewagt, mich bei einer Pace von 4:58 zurrückfallen zu lassen. Jetzt ist das ja was anderes. Mein Marathon-Engel ist ja dabei. Also stelle ich mich neben ihn und wir schaffen uns Platz im unteren Bauchraum. Eigentlich total unnötig bei mir, wie ich an der Ausbeute zu spät feststelle. Die 25 Sekunden Verspätung holen wir auf den nächsten 2 bis 3 Kilometern wieder rein. Für meinen Engel ein Klacks, für mich schon grenzwertig. Aber er zieht mich mit. Nicht zum letzten Mal heute!

Ganz unvermittelt erklärt mir mein Engel plötzlich die „3 B“ des Marathons, die er gerade erfunden hat:

  1. Bremsen
  2. Beibehalten
  3. Beißen

Diese Reihenfolge müsse man einhalten. Das fällt ihm einfach mal so ein. Bei Kilometer 17. So sind sie die Engel.

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Noch bin ich im Brems-Modus.

Und diese 3 B beschäftigen mich jetzt während der restlichen 25 Kilometer. Mehr als mir lieb ist. Gerade jetzt, bei Kilometer 17. Irgendwie geht es mir gerade gar nicht gut. Magen-Darm fühlt sich nicht so toll an, obwohl ich noch gar kein Gel intus habe. Lediglich ein paar von diesen Gelchips. Ich werde doch wohl kein Dixi aufsuchen müssen? Hätte mir gerade noch gefehlt.

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Dixi? Nee, Halteverbot. Also weiter!

Bin ich jetzt etwa schon in der Beißphase? Wäre etwas verfrüht. Dann klappt es plötzlich wieder besser und ich bin eindeutig im Beibehalten-Modus.

Wie das Wetter (mal Sonne, mal Graupelschauer mit eisigem Wind) wechselt auch meine Stimmungslage. Von Kilometer 28 bis 32 oder so überkommt mich das „Runners High“. Ich laufe jetzt sogar ein paar Meter vor den Pacemakern. Alleine. Trotz Gegenwind. Habe das Gefühl, dass ich die letzten 10 Kilometer jetzt locker so durchlaufen kann. Dabei wäre jetzt definitif der Brems-Modus angesagt. 10 Kilometer können ja so was von lang sein.

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Das wäre dann eher der Beißmodus. Hab mich übrigens hier schlimmer gefühlt als mein „entspannter“ Gesichtsausdruck vermuten lässt.

Mein Erzengel weiß das, ahnt was kommt. Ab Kilometer 33 oder 34 wird es nämlich richtig hart. Ich sehne die nächsten Kilometermarken herbei. Wo bleiben die bloß? Was, noch 8 Kilometer? Wie soll ich das schaffen. Aber ich erinnere mich an St. Wendel vor einem Jahr. Da lief ich deutlich langsamer und hatte bereits 12 Kilometer vor Ende massiv an Tempo eingebüßt. Aber heute habe ich ja meinen Engel. Und der ist immer noch um mich. Ich bin also noch auf Kurs. Beibehalten! Beibehalten! Oder doch schon beißen? Irgendwie schon.

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Die haben es auch ins Ziel geschafft. Knapp vor uns.

Mit meinem Engel kommuniziere ich mittlerweile nur noch im Ein-Wort-Code. Mehr geht nicht. „Michael, Cola!“ rufe ich über zwei Reihen von Läufern hinweg. Mein Engel versteht mich. Ich laufe mein Tempo (Ja, ich bin immer noch in der richtigen Pace unterwegs!), während Michael ein paar Haken schlägt und mir das wertvolle braune Gebräu organisiert. Einfach Wahnsinn.

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Erzengel Michael ist überall.

Dann vor Kilometer 38: „Michael, ich …Wadenkrämpfe! Was … tun? Nutzen … Elektrolytgetränke?“ Mein Engel muss passen: „Nee, bringt jetzt nix mehr. Aber man kann auch die paar Kilometer mit Krämpfen laufen.“ – Ich weiß, dass er lügt. Es geht eigentlich nicht. Und trotzdem habe ich jetzt genau diese Aufmunterung gebraucht. Und es geht halt doch. Irgendwie? Ein Engel lügt nicht! Mit fast durchgestreckten Beinen laufe ich die letzten Kilometer. Damit halte ich die Krämpfe einigermaßen in Schach. Aber meine Lauftechnik gleicht jetzt einem Stelzenläufer. Hat schon einmal jemand einen Stelzenläufer im sub 5er Schnitt gesehen?

Mein Engel hat’s gesehen. Er sieht alles. Weil er sich permanent nach mir umdreht. Und weil er sieht, wie ich mich quäle. Er hat längst gemerkt, dass ich schon eine ganze Weile beim 3. „B“ angekommen bin: Beißen, beißen, beißen! Michael lässt sich immer wieder leicht zu mir zurückfallen, spornt mich an und holt das Letzte aus mir raus.  Keine Ahnung, wie er das macht. Engel halt. Viele 3:30 Läufer sind nicht mehr unterwegs. Gnadenlos zurückgefallen. Aber ich bin noch da. Und bei Kilometer 40 weiß ich, dass ich es schaffen werde. Beißen, beißen, beißen!

Mein Engel muntert mich jetzt immer häufiger auf: „Was immer auch noch passiert: Persönliche Bestzeit hast Du auf jeden Fall.“ Aber damit gebe ich mich jetzt nicht mehr zufrieden. Jetzt will ich auch den vollen Ruhm. Ich will in meinem Laufbericht schreiben (Ja, dessen Inhalt habe ich mir während der langen Kilometer schon grob zurechtgelegt.), dass ich die 3:30 geknackt habe. Und so wird mein letzter Kilometer mein schnellster nach der Pinkel-Pausen-Aufholjagd am Anfang.

Einen Teil meines Ruhms gebe ich hiermit an meinen Erzengel Michael ab. Nicht nur, weil er mir selbstlos beim Zieleinlauf den Vortritt lässt.

Michael, ohne Dich hätte ich das heute nicht geschafft.  Danke! Du bist ein hervorragender Marathon-Engel …

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Mein Engel und ich haben es geschafft!

 

Danke an Joachim Keller für die Fotos.

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2 Gedanken zu „Michael, mein Marathon-Engel“

  1. Mensch, Micha, hast Du Deine Flügel extra für den Fototermin schnell abgelegt? Gratulation Euch beiden, vor allem aber auch dem Autor dieser Zeilen zur Superzeit!

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