Warum Man(n) läuft

Haben Sie schon einmal an einem Wochentag abends gegen 19:00 Uhr am Marienkapellchen im Jeuchen beobachtet, was da auf dem Weg vor Ihnen so alles passiert? Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Wer da so alles passiert.

Da drängt sich unwillkürlich der Eindruck auf, dass ganz Konz auf den Beinen ist. Da sieht man Heerscharen von Menschen, die laufend oder walkend ins Konzer Tälchen oder in den Roscheider Wald einfallen, das Ganze vorzugsweise im mehr oder weniger stylisch-sportivem Outfit. Und diese Menschen bevölkern zu Hunderten den Highway ins Tälchen. Das Verkehrsaufkommen auf der A3 am Frankfurter Kreuz im Berufsverkehr ist nichts dagegen.

Hochbetrieb im Jeuchen, Foto: Boris Ruth

Stellt sich die Frage: Was veranlasst den Menschen, der tagsüber brav am Schreibtisch sitzt, in der Werkstatt arbeitet oder hinter der Verkaufstheke steht, nach der Arbeit die Laufschuhe zu schnüren und sich so richtig zum Schwitzen zu bringen.

Beim weiblichen Geschlecht gibt es hier ein paar ganz offensichtliche Gründe. Erstens: Bewegung ist gesund. Gesundheitslaufen ist en vogue. Herz und Kreislauf verlangen ihr Recht. Der Hausarzt findet’s gut. Zweitens: Es geht um Wellbeing. Po, Beine, Bauch fordern ihre zweite Chance. Und drittens: Da wäre noch die soziale Komponente. Unsere Gesellschaft bringt halt nicht nur Gesellschaftssäufer, sondern auch Gesellschaftsläufer hervor.

Das Wichtigste aber ist der Spaß bei der ganzen Sache. Die Frau läuft, weil und wenn sie Lust dazu hat. Punkt. Hat sie keine Lust, läuft sie nicht.

Laufen macht Spaß …; Foto: Benjamin Kleinjohann

 

… vor allem gemeinsam; Foto: Andreas Kilian

Beim Mann, vorzugsweise wenn er die Lebensmitte knapp überschritten zu haben glaubt, sieht das ein bisschen anders aus. Da ist das mit dem lustvollen Laufen so eine Sache. Da stößt der Spaßfaktor schnell an seine Grenzen. Denn Laufen ist eine ernste Sache. Da geht es sozusagen um Existentielles. Da geht es um das männliche Ego.

Das würde Man(n) ab Mitte vierzig natürlich nie freiwillig zugeben. Ist aber so. Dem Mann im besten Alter geht es immer darum, sich und der Welt zu beweisen, wie gut er noch drauf ist. Da geht es nicht um die Frage, wie schön oder wie angenehm der Lauf war, sondern wie weit und wie schnell.

Schneller, weiter, besser; Foto: Joachim Keller

Dem Mann im fortgeschrittenen Alter geht es im wesentlichen um eines: die eigene Performance. Und die definiert sich natürlich in erster Linie an dem Leistungsvermögen der männlichen „Konkurrenz“. Und als solche erlebt Man(n) seine Altersgenossen nun mal: „Der Klaus macht im Schnitt 40 Kilometer die Woche. Das kriege ich auch noch hin.“ – „Der Jürgen läuft die 10 Kilometer in 46:35. Mit ein bisschen mehr Training schaffe ich das auch.“

Und wenn der Vergleich mit den männlichen Artgenossen gar zu aussichtslos ist, bleibt zur Not immer noch das Messen an sich selbst: „14 Sekunden schneller als beim letzten 10er. Da geht noch was.“ Die permanente Verbesserung der persönlichen Bestzeit ist das Maß der eigenen Glückseligkeit und Selbstachtung.

Aber keine Sorge: Das bleibt nicht für immer so. Das verwächst sich. Meistens jedenfalls. Spätestens mit Mitte oder Ende 50 hat der Spuk ein Ende. Dann läuft Man(n) zwar immer noch durch die Landschaft, jetzt aber eher, um sich mit seinen Kumpels ungestört über die diversen Wehwehchen auszutauschen, die zu dem vorzeitigen Ende einer ansonsten vielversprechenden Läuferkarriere geführt haben.

Reife Herren unter sich; Foto: Benjamin Kleinjohann

Es gibt allerdings auch Ausnahmen. In diesen Fällen will diese spätpubertäre Phase einfach nicht enden. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass ein 83jähriger mit chronischer Midlifecrises beim Berlin-Marathon über den letzten Kilometer einen fulminanten Endspurt hinlegt. Hyperventilierend und mit letzter Kraft schleppt er sich kurz vor der Ziellinie an ein paar staunenden Mitsechzigern vorbei. Vom Zieleinlauf führt sein Weg direkt ins Sauerstoffzelt, wo er mit letzter Kraft ins Beatmungsgerät röchelt: „Den’n haaaaabich’s abaa nochmaaa g’zeigt.“

Aber zurück zur Rennbahn im Jeuchen. Dort können Sie regelmäßig Vertreter dieser  männlichen Läufer-Spezies beobachten:

Da läuft ein grau melierter Herr, ganz offensichtlich am Ende seiner physischen Kräfte. Er sieht aus, als sei er gerade etwas über seine Verhältnisse gelaufen und habe jetzt sehr große Mühe, die letzten 500 Meter bis zu seinem Auto in aufrechter Haltung zu bewältigen. Seine Körpersprache signalisiert: Ich bin platt. Sein Gesichtsausdruck verrät: Nichts geht mehr.

Doch plötzlich wendet sich das Blatt: Sein Körper richtet sich auf. Sein Schritt wird beschwingt. Er wird deutlich schneller.  Kniehub, Armhaltung und Schrittfrequenz sind so wie sein Trainer es ihm über Jahre erfolglos beizubringen versuchte. Sein Gesichtsausdruck ist gelöst und entspannt. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel.

Nicht nachlassen jetzt; Foto: Boris Ruth

Und in dieser Körperhaltung verharrt er genau so lange, bis er die beiden jungen Frauen, die ihm aus Richtung Stadion entgegenkommen, passiert hat, um dann wieder taumelnd mit hängenden Schultern das Ende seines Martyriums herbeizusehnen.

Was er natürlich nicht ahnen kann: Die beiden Frauen sind so ins Gespräch vertieft, dass sie den attraktiven und gut trainierten Mitvierziger, der locker als Enddreißiger durchgeht, gar nicht wahrnehmen …

PS:
Bei der TG Konz ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau gelebte Praxis. Es versteht sich daher von selbst, dass die oben beschriebenen Verhaltensmuster längst nicht nur den männlichen TG-lern vorbehalten sind. Es soll bei der TG Vertreter des weiblichen Geschlechts geben, die den Herren der Schöpfung in Sachen Ehrgeiz und Strebertum, Zielstrebigkeit und Siegeswille in nichts nachstehen. Aber das wäre dann nochmal eine andere Geschichte …

 

Titelfoto: Andreas Kilian

2 Gedanken zu „Warum Man(n) läuft“

  1. Hallo Matthias,
    ja du hast die Laufsituation im Konzer Tälchen sehr schön ge(be)schrieben. Jede(r) kann sich in deinem Text irgendwo verorten.
    Habe viel lachen müssem.
    Weiter so!
    Gruss Ute‍♀️

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