Lauf-Technik

Es soll noch gar nicht so lange her sein, da haben sich zivilisierte Menschen einfach mal eben ihre Laufschuhe angezogen und sind losgelaufen. Ganz ohne Hightech. Keine Laufuhr, kein Smartphone. Oft hatten sie noch nicht einmal eine richtige Stoppuhr mit. Nichts. Ich frage mich, wie das denn möglich war.

Wie wussten diese Menschen, wie schnell sie unterwegs waren?  Die hatten damals bei ihrem langen Lauf doch keine Ahnung, wieviel Kilometer sie zurückgelegt hatten. Geschweige denn wieviel Höhenmeter sie bereits  in den Beinen hatten. Und nach dem Lauf konnten sie allenfalls erahnen, wieviel Kalorien sie während des Laufs verbrannt hatten. Viele Läufer sollen damals ja gar nicht mehr von ihren langen Läufen durch unbekanntes Terrain heimgekehrt sein, weil sie unterwegs verlorengingen. Die hatten ja noch nicht mal GPS.

Da sind wir ja heute geradezu privilegiert. Wir haben Hochleistungscomputer an unseren Handgelenken, die uns über alles Auskunft geben: gelaufene Kilometer, Laufzeit, Pulsfrequenz, Geschwindigkeit pro Runde und natürlich Durchschnittspace.

Dank modernster Technik kann ich beispielsweise nach einem Wettkampf heute ganz genau auswerten, wieso das mit der Bestzeit wieder nicht geklappt hat. Klar, diese Analyse braucht natürlich etwas Zeit, häufig sogar länger, als der eigentliche Lauf. Aber was tut man nicht alles, um den Lauf intellektuell und statistisch zu verarbeiten. Voller Ehrfurcht vor der modernen Technik komme ich dann nach intensiven Analysen zu ganz erstaunlichen Ergebnissen: Die benötigte Zeit für die gelaufene Strecke war einfach zu lang. Wäre ich ohne Hightech nie drauf gekommen.

Also, es nützt alles nichts, ich muss härter trainieren. Und auch hier beweist meine Superuhr ihre sportphysiologische Kompetenz: Nach einem harten Intervalltraining sagt mir das Gerät, dass die Belastung außerordentlich hoch war. Schon beeindruckend, woher die Uhr das weiß. Gut, ich hätte das jetzt auch so gemerkt in den Beinen. Aber es tut schon gut, wenn da jemand mitfühlt.

Außerordentlich hilfreich ist die Uhr natürlich bei der umfassenden Bewertung meiner Laufeffizienz. Zum Beispiel während eines Wettkampfs.

Mit welcher durchschnittlichen Schrittlänge bin ich beim Bienwald Halbmarathon  gelaufen?

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Was war denn das da in der 39. Minute?
Wie war meine Trittfrequenz beim Start?

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Aha, da war wohl etwas Gedränge zu Beginn
Wie sieht es mit der vertikalen Bewegung aus?

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Gut, dass ich das jetzt weiß. Darauf lässt sich aufbauen.
Ganz wichtig: Wie steht es um mein durchschnittliches vertikales Verhältnis?

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Keine Ahnung, was das bedeutet. Aber die blauen Punkte beim Endspurt sehen gut aus
Die Bodenkontaktzeit beträgt im Schnitt 226 Millisekunden. Interessant.

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Ohne meine Uhr wäre mir diese Erkenntnis für immer verwehrt geblieben
Oh, oh. Die Balance der Bodenkontaktzeit ist aber ziemlich aus dem Ruder. Das sieht ja ganz übel aus.

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Schon erstaunlich, dass ich damit durchgekommen bin
Achso. Ja, diese Information ist natürlich auch enorm wichtig. In welchem Belastungsbereich bin ich denn bei dem Wettkampf gelaufen? Fast komplett im Bereich 4 und 5.

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Kein Wunder, dass ich die ganze Zeit so außer Atem war
Zweifellos: Mein neues Spielzeug am Handgelenk stärkt mein läuferisches Selbstbewusstsein ungemein. Zum Beispiel, wenn mir die Uhr nach eine harten Trainingseinheit voller Bewunderung bestätigt, dass mein VO2max-Wert mit 50 ml/min/kg ausgezeichnet ist. Oder wenn sie mir mitteilt, dass meine Laktatschwelle bei einer Pace von 4:29 min/km und einem Puls von 165 liegt.

Aber am schönsten ist es, wenn sie mir nach einem superlangen Lauf mitteilt, dass ich nur 25 Stunden Erholungszeit benötige. Meine unteren Körperpartien fühlen sich zwar so an, als seien sie für die nächsten 5 Tage für nichts zu gebrauchen. Aber wenn meine Uhr es mir schwarz auf weiß bestätigt, dann werde ich mich halt morgen früh wieder auf die Socken machen.

Ja, meine Uhr glaubt an mich. Auf Knopfdruck nennt sie mir ganz genau die Wettkampfzeiten, die ich aufgrund meiner aktuellen Form zu laufen imstande bin. Wenn sie recht hat, schaffe ich meinen nächsten Marathon in 3 Stunden, 19 Minuten und 8 Sekunden.

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Meine Uhr glaubt an mich
Bin echt mal gespannt, ob sie mich während des Rennens daran erinnert und anfeuert: „Auf! Du bist fast auf Kurs. Wenn Du so weiterläufst, liegst Du nur 21 Minuten und 48 Sekunden hinter Deiner möglichen Marathonbestzeit.“

Ich muss vor meinem nächsten Wettkampf unbedingt mal in der Gebrauchsanweisung nachschauen, wie ich das Ding stumm schalten kann. Ich könnte die Uhr natürlich auch einfach zu Hause lassen. Aber dann ist sie vermutlich beleidigt …

Beitragsbild von Boris Ruth, aufgenommen beim Trainingswochenende 2015

2 Gedanken zu „Lauf-Technik“

  1. Ja, mein Garminchen ist wirklich ein toller Berater. Meckert nie, fühlt immer bis aufs Herz und macht keine falschen Komplimente. Sie stellt sogar die Daten direkt ins Netz auf Wunsch, toll, denn wir alle wissen: Nur Einheiten, die im WWW gepostet wurden haben auch wirklich stattgefunden. Und schon lange kennt sie mich besser als meine … Mama …

    Aber so langsam krieg ich Angst vor ihr. Sie verfolgt mich nämlich sogar nachts. Neulich meinte sie „Akku leer“ und wie recht sie damit hatte, mein Akku war wirklich leer, und das noch bevor ich überhaupt losgelaufen bin. Wenn ich sie mal nicht auf ne Einheit mitnehme und („versehentlich“) zuhause liegen lasse, dann erscheint sie mir doch schnell eingeschnappt, braucht sie doch gleich länger für den nächsten Fix. Hoffentlich fängt sie nicht bald auch noch an mit mir zu sprechen, schon gar nicht bei Läufen wo ich nichts mehr erwidern kann.

    Denkst Du wir müssen unseren Frauen bald das Verhältnis gestehen?

    PS: Um in diesem Beitrag wenigstens noch was nützliches abzuliefern möchte ich Euch diesen Link empfehlen, meines Erachtens eins der besten Blogs rund um das Thema Sport/Outdoor/GPS: http://www.dcrainmaker.com/

    1. Ich denke, wir brauchen unseren Frauen das Verhältnis gar nicht zu gestehen. Die haben längst gemerkt, dass da was am Laufen ist. Die Uhr ist ständig an unserer Seite, erhält unsere volle Aufmerksamkeit, gibt uns gut gemeinte Hinweise. Wir berühren sie zärtlich und nehmen permanent Blickkontakt zu ihr auf. Das kann unseren Frauen gar nicht verborgen bleiben. Da können wir nur auf etwas Toleranz hoffen …

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