(Ein etwas anderer) Laufbericht vom Ruwer-Riesling-Lauf
Um es gleich vorwegzunehmen: Es ist wieder passiert. Oder besser: Ich habe es wieder getan. Neue persönliche Bestzeit: 43:31. 🙂 🙂 🙂 Die Freude ist groß. Ich kann es kaum glauben.
Ich bin 15 Sekunden schneller gelaufen als bei meinem letztjährigen Lauf an gleicher Stelle. Und das knapp drei Wochen nach meinem ersten Marathon.
15 Sekunden, in Worten fünfzehn Sekunden. Das ist schon was. Damit kann man ganz schön viel anfangen im täglichen Leben. 15 Sekunden dauert es zum Beispiel, meine steifen Knochen morgens nach dem Aufstehen von der Bettkante ins Badezimmer zu bewegen. (Ok, heute Morgen habe ich nach dem anstrengenden gestrigen Lauf dann doch deutlich länger dafür gebraucht.) 15 Sekunden benötigt man, um ein frisches Oberhemd anzuziehen (wenn es nicht gar zu enge Knopflöcher hat). 15 Sekunden ist die Zeitspanne zum Bestreichen des Frühstücksbrötchens mit Honig (vorausgesetzt der Honig steht da, wo er hingehört). In 15 Sekunden kann man sich ein gepflegtes Hefeweizen eingießen (natürlich nur, wenn man weiß, wie es geht).
Zugegeben, betriebswirtschaftlich betrachtet ist eine Zeiteinsparung von 15 Sekunden jetzt nicht wirklich der Bringer. Schließlich muss man ja die Investition gegenrechnen, die zur Erbringung dieser Leistung notwendig war. Und die liegt in meinem Fall bei exakt 3068 Kilometern. Soviel bin ich in den letzten 365 Tagen nämlich gelaufen. Dafür habe ich netto 304 Stunden, 20 Minuten und 58 Sekunden gebraucht. Ganz schön viel Aufwand, um die bisherige persönliche Bestzeit um 15 Sekunden zu unterbieten. Schon krass, oder?
Bei der Rechnung wird sich wohl jeder Nicht-Läufer in seiner Überzeugung bestätigt sehen: Der gemeine Läufer ist im Grunde Vertreter einer bemitleidenswerten Spezies, deren abstruses Verhalten sich durchschnittlich intelligenten Menschen nicht erschließt. Ja, ich kann sie verstehen, die zweifelnden Nicht-Läufer. Mit den üblichen Argumenten rund um Fitness und Lifstyle kommt man diesen nicht-laufenden Totalverweigerern da längst nicht mehr bei. Zu deren Bekehrung müssen da schon stärkere argumentatorische Geschütze aufgefahren werden.
Und da wären wir dann auch schon bei der „Existenzphilosophie“. Eigentlich kein Thema für Wettkampfberichte, allerdings sehr wohl ein dankbares Gesprächsthema für „reifere“ Läuferinnen und Läufer beim lockeren Auslaufen nach dem Wettkampf. Da ist das Reden ja wieder ohne Schnappatmung möglich. Und da hat man dann ja auch alle Zeit der Welt. Und so kommt es, dass ich mich beim Cool down unvermittelt in einem Gespräch über die „Endlichkeit des Lebens“ wiederfinde. Mir kommt der Gedanke, dass das Streben nach Bestzeiten wohl deswegen so attraktiv ist, weil der Mensch halt nur eine begrenzte Lebenszeit auf Erden hat. Und wer wie ich erst mit 50 angefangen hat zu laufen, dem bleiben halt nicht mehr soooo viele Jahre für Bestzeiten übrig. Wie lange wird mir das Laufen noch vergönnt sein? Noch 20 Jahre? 10? Vielleicht nur noch 5? Irgendwann geht es dann halt nicht mehr. Und diverse Vorboten auf die zu erwartenden körperlichen Einschränkungen im Alter erlebt der gemeine Läufer ja doch eher regelmäßig und mit zunehmendem Alter häufiger. Irgendwo zwickt’s doch immer, oder?
Na ja, und deswegen sind mir die erfolgreichen Läufe ja auch so wertvoll. Deswegen macht es mich so glücklich, dass ich dieses Jahr in Mertesdorf ganze 15 Sekunden schneller war als im Vorjahr. Und dieses Erfolgserlebnis war jeden der 3068 Trainings-Kilometer in den vergangenen 365 Tagen wert. Übrigens erfreuen sich sehr viele TG Lauftreffler ähnlicher Erfolgserlebnisse mit persönlichen Bestzeiten beim diesjährigen Ruwer-Riesling-Lauf. 🙂
Doch eines muss hier natürlich existenzphilosophisch noch geradegerückt werden: Natürlich erschließt sich auch der ambitionierten Läuferschar der Sinn des Lebens nicht nur durch Bestzeiten. Selbstverständlich laufen Läuferinnen und Läufer die vielen Jahreskilometer nicht nur, um ein paar Sekunden von ihrer bisherigen Bestzeit abzuknabbern. Sie laufen, weil ihnen das Laufen Spaß macht. Punkt. So gesehen ist für Läufer jeder einzelne gelaufene Kilometer „sinn-voll“, egal wann, wo und wie schnell sie oder er ihn läuft.
So, genug mit dem existenzphilosophischen Exkurs. Zurück zu den eher profanen und praktischen Dingen des Läuferlebens: Ich habe heute tatsächlich mal einen dieser neuen Gel-Chips ausprobiert. Die Dinger haben die Konsistenz von Marshmallows, sind allerdings etwas kleiner. Man schluckt sie nicht. Man beißt sie in der Mitte durch und steckt sich beide Hälften in die rechte und linke Backentasche. Dort lösen sie sich langsam auf. Vorteil: Kohlenhydrate werden über die Mundschleimhäute absorbiert und belasten nicht den Magen. Soweit zumindest die Theorie.
Zum Praxis-Selbsttest: Um während des Laufs nicht mit dem kleinen Tütchen herumnesteln zu müssen, stecke ich mir so ein Ding gleich in der Startaufstellung in die Mundhöhle. Soll ja nur ein Test sein. Ich fühle mich ein bisschen wie der Goldhamster, den ich als Kind immer bewundert habe. Die dezente optische Gesichtsveränderung kommentiere ich den irritierten Läufern um mich herum mit den Worten: „Nee, if war nift beim Pfahnarft. Daf find die neuen Gelfips.“ Hat da jemand gelacht? Gottseidank befreit mich der Startschuss aus der etwas peinlichen Konversation. Aber die Kollegen werden schon sehen, zu was diese Hamsterbacken-Kohlenhydrat-Bomber fähig sind. „In ein pfaar Kilometern pfrechen wir unf wieder.“ Erst versuche ich mit geschlossenem Mund zu laufen, damit die Dinger nicht rausfallen. Geht natürlich nicht. Ich brauche ja Luft. Also Mund auf. Geht. Fällt nix raus. Die Kleben bombenfest, die Teile. Richtig stören tun sie beim Schnaufen also nicht. Und reden brauche ich ja jetzt nicht mehr. Und trinken? Geht sowieso nicht. Dazu bin ich zu schnell unterwegs. Ob die Dinger wohl schon wirken? Beim Wendepunkt füllen sie immer noch einen großen Teil meiner Backentaschen, die Power-Marshmallows. Geschrumpft zwar, aber noch deutlich spürbar. Sei’s drum. Hauptsache sie stören mich nicht beim Laufen. Kilomter 7: Wieso sind die jetzt eigentlich immer noch da? In der Beschreibung stand da was von 2-3 Kilometern. Ich habe das Gefühl, dass mein Mundinhalt immer noch ein paar weitere Leute satt machen könnte. Zum Beispiel all jene, die ich jetzt auf den letzten Kilometern einen nach dem andern einsammle. Kurz vor dem Ziel spucke ich dann die letzten pappigen Gel-Reste aus. Schließlich brauche ich gleich Platz im Mund für das Bit 0,0% danach …
Ob mich dieser Verlust an Kohlenhydratspuren am Ende vielleicht doch noch eine klitzekleine Sekunde gekostet hat? Wer weiß? Vielleicht hätte ich ja meine Bestzeit dann um 16 anstatt 15 Sekunden toppen können. Aber an den existenzphilosphischen Erkenntnissen des heutigen Tages hätte das nichts geändert. 🙂
Das Laufen sei Dir „Darf“, kein „Muss“.
Genieße jeden Kilometer,
denn irgendwann ist damit Schluss.
Drum laufe heute und nicht später.
Glückwunsch zur neuen Bestzeit in Mertesdorf! Hätte ich auch mit Gelchip laufen sollen? Egal. Wenn meinen Artikel ein Admin freigeschaltet hat, kannst Du lesen, wie es sich am anderen Ende des Feldes lief.
Bis Dienstag!
Ralph
Danke Ralph. Aber mit Deiner 49er Zeit bist Du ja nicht wirklich am anderen Ende des Feldes . Bin auf jeden Fall gespannt auf Deinen Bericht.
Zur neuen Bestzeit habe ich Dir ja schon gratuliert :-)! Freut mich aber auch zu hören, Dich zu Deinem existenzphilosophischen Bericht inspiriert zu haben, obwohl ich mich weigere mich als „reifere“ Läuferinnen bezeichnen zu wollen (wobei wir dann wieder beim Thema Alter, der Endlichkeit und der Existenzphilosophie wären :-))!
Wie immer erfrischend geschrieben!
Selbstverständlich habe ich mit der „reiferen“ Läuferin nicht Dich gemeint, Petra. Wie Du nur auf so was kommst?
Schöner Bericht und Herzlichen Glückwunsch zu deiner neuen Bestzeit.
Merci, Claudia