Kilometer 3 beim Schweicher Fährturmlauf, gegen 15:15: Ich stelle gerade irritiert fest, dass meine Uhr offensichtlich wieder hoffnungslos vorgeht, als Dominik von hinten kommend an mir vorbeibrettert.
Ist ja nicht ganz so außergewöhnlich, dass mich ein flotter Läufer, der sich etwas zu weit hinten aufgestellt hat, auf den ersten Kilometern mit Tempoüberschuss überholt. Aber Dominik? Unser schnellster Läufer bei der TG? Der steht beim Start üblicherweise in der ersten Reihe. Dort gehört er auch hin. Den seh ich auf Wendepunktstrecken schon mal um diese Zeit, aber dann kommt er mir normalerweise schon entgegen und ist bereits auf dem Rückweg. Was ist da los? Im Zickzackkurs bahnt er sich seinen Weg durch das noch recht dichte Läuferfeld und arbeitet sich mühsam nach vorne. Das wird dann ja heute sicher nix mit einer super Zeit für ihn. Aber dafür gibt es gewiss eine plausible Erklärung.
Und solche Erklärungen sind wichtig für jeden ambitionierten Hobbyläufer, wenn es mal nicht so rund läuft. Deshalb werden Analysen angestellt, alle verfügbaren Daten akribisch ausgewertet und abenteuerliche Theorien aufgestellt. Woran lag’s? Was lief schief?
In solchen Situationen ist es für das Läuferego ungemein hilfreich, ein Sortiment an plausiblen Ausreden parat zu haben. Erfahrene Läufer können diesbezüglich aus einer schier unerschöpflichen Fülle bewährter Erklärungen auswählen:
„Ich bin ja eigentlich noch im Wintertraining.“ oder „War ja lange verletzt und hab noch Trainingsrückstand.“ „Die Zerrung in der Leiste war doch hartnäckiger als ich dachte.“ Auch gerne genommen: „Mir steckt die Erkältung vom letzten Oktober noch in den Knochen.“ Zur Not geht’s auch mit: „Die Strecke liegt mir einfach nicht.“ Oder ganz schlicht: „zu hügelig“, „zu flach“, „zu eintönig“, „zu kurvig“.
Gerne werden auch mal die katastrophalen Folgen der Zeitumstellung auf das körperliche Wohlbefinden bemüht. Oder ganz profan der Besuch des Weinfests am Vorabend.
Besonders hilfreich ist, wenn auf der eigenen Laufuhr hinterher deutlich mehr Meter sichtbar sind als die offizielle Strecke eigentlich lang sein soll: „Die haben sich vermessen.“ – „Die Strecke war mindestens 150 Meter zu lang.“ – „Nach meiner Uhr war ich schon 1:45 Minuten früher im Ziel.“
Bei längeren Trailläufen kommt man auch schon mal mit folgender Aussage weiter: „Ich hatte mich bei Kilometer 28 hoffnungslos verlaufen und wurde nur mit viel Glück vor Einbruch der Dunkelheit von einem Suchtrupp gefunden. Sonst wär’s Bestzeit geworden.“
Die Klassiker sind natürlich nach wie vor: „Extrem hohe Luftfeuchtigkeit“, „stark erhöhte Ozonwerte“, „zu dick angezogen“, „vereiste Strecke“, „falsche Schuhe“ oder einfach „zu kalt“ oder „zu warm“.
Nun ist der diesjährige Schweicher Fährturmlauf ausredetechnisch wenig ergiebig. Mit ca 10 Grad herrschen ideale Wettkampftemperatur. Wind? Fehlanzeige. Nur ein sanftes Säuseln. Noch nicht mal ein ordentlicher Regenguss . Und zu allem Überfluss: superflache Strecke. Wie um alles in der Welt bitteschön soll man da plausibel erklären, warum man nur eine magere 39er, 46er oder 52er Zeit läuft. Zum Verzweifeln.
Ich für meinen Teil steh da drüber. Mich kann sowas nicht erschüttern. Ich überlege mir immer schon bei der Anmeldung, wie ich anderen (und vor allem mir selbst) einen möglichen Misserfolg erkläre. Das ist einfach viel entspannter.
Aufgrund meiner umfangreichen Erfahrung mit suboptimalen Rennergebnissen habe ich mir im Laufe der Zeit ein ganzes Arsenal an wetter- und streckenunabhängigen Ausreden zurechtgelegt für den Fall, dass es nicht ganz so rund läuft. So konnte ich bereits Stunden vor dem Fährturmlauf einen deutlich wahrnehmbaren Schmerz in der rechten Hüfte ausmachen. Aha. Da haben wir doch schon was Brauchbares. Andere würden wegen dieser tierischen Schmerzen im Bett bleiben oder sich umgehend in orthopädische Behandlung begeben. Aber ich beiße natürlich tapfer die Zähne zusammen und laufe trotzdem mit, um kurz nach Zieleinlauf die bescheidene Rennleistung mit massiven muskulären Problemen zu erklären.
Natürlich ist es von immenser Bedeutung, sich diesen Erklärungsansatz schon vor (!) dem Wettkampf zurechtzulegen. Die Gefahr ist nämlich viel zu groß, dass die Schmerzen nach dem Startschuss vom Adrenalin verdrängt und gar nicht mehr spürbar sind.
Meine neuste Argumentationskette ist jedoch mit Abstand die beeindruckendste Erklärung mittelmäßiger Rennergebnisse. Der absolute Bringer: „Seit ich Triathlet bin, muss ich mein Training ja auf drei Disziplinen verteilen. Da bleibt für wettkampfspezifisches Lauftraining natürlich weniger Zeit. “ Wow, oder? Der Charme an dieser plausiblen Erklärung für grenzwertige Wettkampfzeiten liegt auf der Hand: Ich ernte nicht nur volles Verständnis sondern zusätzlich Respekt und Anerkennung. Ach, es ist schon toll, wenn man mit richtig coolen Ausreden aufwarten kann.
Eine Ausrede hört man bei den Konfliktbewältigungsplaudereien beim alkoholfreien Bierchen nach dem Wettkampf jedoch nur selten: Kaum einer der eher glücklosen Läuferseelen nennt sein Älterwerden als mögliche Ursache für die im Vergleich zu den Vorjahren längere Laufzeit. An was das wohl liegt?
Aber wozu auch? Es gibt ja so viele andere Möglichkeiten, sich einen Leistungseinbruch zu erklären. Und seit dem Schweicher Fährturmlauf habe ich jetzt ja noch einen zusätzlichen Punkt für meine Ausredensammlung. Dank Dominik. Der läuft auch gerne mal eine 34er Zeit. In Schweich reichte es „nur“ für eine 36:51. Aber dafür hat Dominik jetzt eine ganz geniale Erklärung: Er hat es nämlich tatsächlich geschafft, seinen Championchip im Auto liegen zu lassen. Erst beim Countdown hat er das realisiert. Anstatt auf die Laufstrecke ging es für ihn im Sprint zum Auto und dann zurück. Na ja, der Rest ist Geschichte.
Ach übrigens: Unser Lauftreff war in Schweich der teilnehmerstärkste Verein. Glückwunsch an alle Finisher.
7. Schweicher Fährturmlauf 2018 (Hauptlauf) Ergebnisse // 10 Mar 2018 // 10k Road
Name | Distanz | Zeit | Age Grade | Pace (mile) | Pos. | ||
---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | Dominik von Wirth | Männer M/W 20 | 85.86% | 16 | |||
2 | Hendrik Haumann | Männer M/W 35 | 83.97% | 26 | |||
3 | Michael Zender | Männer M/W 55 | 80.82% | 36 | |||
4 | Andreas Werner | Männer M/W 45 | 74.18% | 71 | |||
5 | Thomas Ehrmann | Männer M/W 60 | 70.52% | 103 | |||
6 | Petra Feuerstacke | Frauen M/W 45 | 79.64% | 16 | |||
7 | Christoph Abt | Männer M/W 30 | 68.26% | 116 | |||
8 | Matthias Keller | Männer M/W 55 | 67.61% | 117 | |||
9 | Andrea Bruckmann | Frauen M/W 20 | 78.49% | 18 | |||
10 | Ute Kleinert | Frauen M/W 55 | 76.43% | 28 | |||
11 | Karl Josef Roth | Männer M/W 60 | 65.46% | 145 | |||
12 | Rudolf Miehling | Männer M/W 75 | 53.30% | 258 | |||
13 | Michaela Duehr | Frauen M/W 50 | 55.98% | 106 |
Und an alle jene, die keine Ausreden brauchen.
Und für alle anderen: Wenn Ihr nicht so recht zufrieden seid mit Eurem Ergebnis – jetzt habt Ihr ja ein paar Ausreden mehr. Bedient Euch 😉
Titelfoto: Holger Teusch
Besten Dank an die Fotografen für die freundliche Freigabe der Fotos.
Weitere Fotos von Ludwig Christ: flickr
Weitere Fotos von Holger Teusch: Trierischer Volksfreund