Entspannter Kreislauf

Laufbericht 6-Stunden-Lauf Kleinkarlbach

9:55 Uhr, geschätzt 13 Grad, nahezu wolkenlos. 70 Läuferinnen und Läufer versammeln sich vor der Grundschule Kleinkarlbach zum Briefing vor dem Start. Der Veranstalter mahnt uns zu vorsichtigem Verhalten auf der Strecke. Die Weinlese ist in vollem Gange, Vollernter sind unterwegs. Dazu die Bitte, keinen Müll in der Landschaft zu entsorgen, es gibt genügend Papierkörbe. Den Worten wird gedankenversunken gelauscht.

Kleinkarlbach? Dort gibt es einen Lauf? Ja, einen 6-Stunden-Lauf. Dieser findet alle zwei Jahre am Tag der deutschen Einheit statt. Die Veranstalter wollen der Gemeinde der Ultramarathonläufer mit dieser kleinen Veranstaltung eine attraktive Laufmöglichkeit bieten.

Ultramarathon – dabei will ich mitmachen? Ja, nach meinem ersten 6-Stunden-Lauf vor drei Jahren stand für mich fest, dass ich das noch einmal machen möchte. Ich fand die Atmosphäre in Troisdorf so freundlich und angenehm, dass ich nach einer Wiederholungsmöglichkeit suchte. Die fand ich in Kleinkarlbach.

Den Lauf nutze ich zu einem verlängerten Wochenende in der Pfalz. Schon am Vortag reise ich gemeinsam mit meiner Frau an. Wir verbringen den Tag mit der Erkundung Grünstadts zu Fuß. Optimale Vorbereitung für mein Vorhaben.

10 Uhr, Start. Das Feld der Läuferinnen und Läufer setzt sich gemächlich in Bewegung. Wir haben alle Zeit, da lohnt es sich nicht zu hetzen. Für mich beginnt die Erkundung der Strecke. Manches weiß ich durch die Ausschreibung. Rundenlänge 2.493 Meter, jede Runde rund 35 Höhenmeter. Doch wie sieht das in Natura aus?

Nach der Startlinie laufen wir an einem Bach entlang. Bäume bieten Schatten. Nach rund 250 Metern geht es über eine Brücke, weitere 100 Meter später biegen wir nach rechts ab, der angedrohte Anstieg beginnt. Ungefähr 400 Meter geht es steil bergauf in die Weinberge Kleinkarlbachs. Oben angekommen laufen wir nach einer Rechtskurve mit tollem Blick über die Landschaft nahezu eben zwischen Reben. Nach einer weiteren Rechtskurve warnt ein Schild vor einem 16%-igen Gefälle. So steil geht es bergab zurück ins Dorf. Erneut rechts, dann am Bach entlang zurück zum Start.

P1050729A

Nach 16:10 Minuten endet meine erste Runde. Blickkontakt mit den Rundenzählern, ich wurde notiert. Erster Durchlauf durch die Verpflegungszone. Noch registriere ich nur das Angebot, brauche noch nichts. Die zweite Runde beginnt. Meine Welt für die kommenden Stunden kenne ich jetzt. Aber langweilig wird mir nicht. Zu viel geschieht um mich herum. Dazu überprüfe ich noch einmal meinen Plan für den heutigen Tag.

Bei 6-Stunden-Läufen haben alle sechs Stunden Zeit zum Laufen. Gewertet wird die zurückgelegte Entfernung. Als Ziel setzte ich mir 50 Kilometer. Dazu müsste ich mit einer Pace von 7 Minuten je Kilometer laufen. Einschließlich aller Pausen. Jetzt kenne ich die Strecke, vorsichtiger Optimismus keimt auf. Dieser lässt mich auch auf dieser Runde den Berg hinauf laufen, während andere gehen.

Wieder zurück am Start verabschiedet sich meine Frau für die nächsten Stunden von mir. Sie wird die Umgebung wandernd erkunden. Ihre guten Wünsche sind ein echter Motivationsschub für mich. Gegen Ende der dritten Runde überrundet mich der führende Mann. Beeindruckend sein Laufstil. Doch auch ich beginne andere Läuferinnen und Läufer zu überrunden. Einsamkeit kann hier keine aufkommen.

Nachdem die Sonneneinstrahlung die Temperatur auf angenehme Werte gebracht hat, zeigt Petrus ein Einsehen und schiebt Wolken vor die Sonne. So herrschen für uns optimale Laufbedingungen. Und die tolle Verpflegung sorgt dafür, dass niemand verhungern oder verdursten muss. Das Angebot, das der Veranstalter uns hier unterbreitet, lässt keine Wünsche offen. Es gibt Wasser, Iso, Tee, im weiteren Verlauf auch Cola und alkoholfreies Bier. Dazu Salzgebäck, Schokolade, Waffeln und Obst. Alles aufzuzählen ist schwer möglich. Ein besonderes Highlight für mich: klein geschnittene Tomaten und Gurken, zu denen Salz bereit gehalten wird.

Bis Kilometer 20 laufe ich mit Rundenzeiten knapp unter 16 Minuten. Es ist mir klar, dass sich das irgendwann ändern wird. Doch noch genieße ich die Leichtigkeit meines Laufes. Noch immer laufe ich den Berg hinauf. Der führende Mann überholt mich ein zweites Mal, auch die führende Frau kommt vorbei. Immer wieder überhole auch ich.

Gegen Ende der dritten Stunde kündigt sich bei mir ein Krampf an. Jetzt kann ich eine Besonderheit dieses Laufes nutzen. Alle Läufer konnten die Autos in Streckennähe parken. So kann ich zu meinem Vorrat an Gel und Magnesium greifen. Die verlorene Minute ist gut investiert, meine Probleme rasch überwunden.

Bei Halbzeit habe ich 28 Kilometer auf dem Zähler. Mir ist jedoch klar, dass ich diesen Wert nicht einfach verdoppeln kann. Zu viel kann in drei Stunden passieren. Die Beine erzählen mir, was sie bis hierher geleistet haben, meine Frische ist vorüber. Ab jetzt gehe auch ich den Berg hinauf. An den Verpflegungsstellen werden meine Pausen länger. Ich brauche mehr Kalorien, um die geleerten Speicher aufzufüllen, dazu nehme ich meistens zwei Becher. Die Rundenzeiten steigen auf über 17 Minuten.

Nach meiner 15. Runde motivieren mich die Rundenzähler mit der Information, dass es nur noch zwei Runden bis Marathon sind. Vielen Dank! Doch ab jetzt wird es für mich schwer. Ich bemerke, dass sich am rechten Fuß Blasen bilden. Mein Laufstil verändert sich, damit verlängern sich die Rundenzeiten noch einmal. Nach 4:45 Stunden beende ich meine Marathonrunde.

Besondere Freude für mich: kurz darauf kehrt meine Frau an die Strecke zurück und läuft einige Meter mit mir. Solche Momente sind legales Doping. In dieser Runde gehe ich den Berg besonders schwungvoll hinauf. Leider hält dieser Motivationsschub nicht ewig. Dazu hat die Sonne die letzten Wolken erfolgreich vertrieben. Das Quecksilber steigt auf neue Höhen. Doch ich mache die Entdeckung des Tages: Im Dorf steht am Streckenrand ein Brunnen. Ihn nutze ich ab jetzt immer, um meine Kappe mit Wasser zu füllen. Das sorgt für einen kühlen Kopf.

Auf der neunzehnten Runde passiert es: beim Bergablaufen platzt erst eine, kurz darauf die zweite Blase. Aua! Ich mutiere zum Wanderer. Erst im Dorf laufe ich vorsichtig wieder an. Meiner Frau erkläre ich, daß ich noch genau eine Runde laufen werde. Also noch einmal loslaufen auf die zwanzigste Runde. Nur noch die ebenen Abschnitte laufe ich. Zurück an der Startlinie zeigt die Uhr 5:46 Stunden.

Ich bekomme ein Fähnchen mit meiner Startnummer in die Hand gedrückt. Dieses soll ich bei Ertönen der Sirene, die den Lauf beendet, an die Strecke stecken. Die Vermesser können dann meine Restmeter notieren. Netter Service. Doch weit will ich ohnehin nicht mehr. Mit der gerade beendeten Runde habe ich 49.860 Meter erreicht, es fehlen noch 140 Meter.

Meine Frau will mich zum Weiterlaufen motivieren, ich erkläre, dass ich ab jetzt nur noch gehen werde. Sie begleitet mich, tolle Unterstützung! Gemeinsam gehen wir die Strecke entlang. Als ich den Anstieg erreiche, will ich mein Fähnchen in einen Blumenkasten stecken. Doch meine Frau treibt mich noch einmal den Berg hinauf. Oben gehen wir noch ein ganzes Stück, bis wir die Sirene hören. Mein Fähnchen findet einen Platz in der Erde. Ich registriere, dass es von hier aus egal ist, ob wir zurück oder vorwärts gehen. So beenden wir gemeinsam meine einundzwanzigste Runde.

An der Verpflegung gibt es jetzt für jeden eine Flasche alkoholfreies Bier. Wir werden aufgefordert, die Vorräte zu plündern. Rasch ziehe ich mich zu den Duschen zurück. Für jeden ist genügend warmes Wasser vorhanden. Dann geht es weiter ins Dorfgemeinschaftshaus. Vor der der Siegerehrung gibt es dort ein Pastabuffet. Dies ist im Startgeld von nur 22 Euro für jeden Läufer enthalten. Auch an diesem Detail zeigt sich, dass hier mit viel Liebe eine kleine Veranstaltung von Läufern für Läufer angeboten wird, die keine Wünsche offen lässt.

Frisch gestärkt kann dann jeder der Ehrung der Sieger die erwünschte Aufmerksamkeit widmen. Beeindruckend die Leistung der Erstplazierten. Fast 69 Kilometer lief der erste Mann, mehr als 59 Kilometer die erste Frau. Beide werden mit Gutscheinen für die Teilnahme an einem Marathon belohnt. Bei der anschließenden Tombola erhält jeder Teilnehmer noch einen netten Preis.

Leider gibt es keine Urkunden. Doch dieses Manko wird wettgemacht durch die Veröffentlichung der Ergebnisliste noch am selben Abend. Dort kann ich ablesen, dass ich 51.030 Meter erreicht habe. Damit lande ich auf Platz 29 von 68 im Ziel gewerteten Läufern, werde 22. von 47 Männern und belege Platz 4 von 9 in der Altersklasse M55. Mit diesem Resultat habe ich mein Ziel übertroffen. Für mich ein toller Erfolg.

Content loading...
Name Zeit Age Grade Tempo Klasse Pos.
Mein Ergebnis hinzufügen

Ein Gedanke zu „Entspannter Kreislauf“

Kommentare sind geschlossen.