Lauffreu(n)de

Im Grunde lässt sich die Menschheit in zwei Kategorien einteilen: Die eine Gruppe sind die leidenschaftlichen und unverbesserlichen Läufer, die eine nahezu euphorische Lauffreude kennzeichnet mit Tendenz zum Suchtverhalten. Die zweite Gruppierung bilden jene Menschen, die ihre Beine lediglich als notwendiges Fortbewegungsmittel betrachten, um von A nach B zu kommen…

… oder allenfalls noch, um die für die untere Körperhälfte bestimmte aktuelle Mode in angemessener Weise in Szene zu setzen. Diese beiden Gruppierungen gehen günstigenfalls mit einer gewissen Gleichgültigkeit einigermaßen respektvoll miteinander um. Echtes Verständnis zeigen sie jedoch nicht füreinander. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir mit diesem Beitrag gelingt, bei den Laufabstinenzlern um Verständnis für die Partei der Läufer zu werben. Aber ein Versuch ist es wert.

Ich versuche also einmal, dem nicht-laufenden Teil der Bevölkerung zu erklären, warum normal sterbliche Menschen einen teilweise beträchtlichen Teil ihrer Freizeit „opfern“, in ihre Laufklamotten schlüpfen und sich freiwillig zum Schwitzen bringen. Wie kommen diese militanten Laufbesessenen dazu, selbst bei 4 Grad Celsius, orkanartig böigem Wind und Dauerregen ihre Runden zu drehen, im Stadion wöchentlich Ihre extensiven Tempointervalle abzuspulen und sich bei langen Läufen teilweise jenseits der 30 km-Grenze die Zeit zu vertreiben?

Am Limit, Trainingswochenende 2015; Foto: Andreas Kilian

Um so etwas zu tun, muss man nicht unbedingt verrückt sein. Aber es hilft. Also warum machen Läufer so etwas? Und wie kommt man überhaupt zum Laufen?

Also bei mir war das so: Als ich noch so richtig jung war, also ich meine bevor ich ein halbes Jahrhundert voll hatte, war freudvolles Laufen für mich nur in Verbindung mit einem Ball denkbar. Ob es sich dabei um einen Fußball, einen Handball oder zur Not auch um einen Basketball handelte, war sekundär. Einfach so ohne einen Ball durch die Gegend zu laufen, war mir einfach zu langweilig und öde.

Doch dann ich entschied ich mich unvermittelt, ein paar überflüssige Pfunde loszuwerden. Mit deutlich reduzierter Kalorienzufuhr war das dann auch in zwei Monaten erfolgreich abgehakt. Aber wie sollte ich nun mein Gewicht halten, ohne permanent zu hungern? Wo es mir doch immer so gut schmeckt. Ich musste einen Weg finden, die Zufuhr und das Verbrennen von Kalorien im Gleichgewicht zu halten. Also schnürte ich eher halbherzig meine verstaubten Laufschuhe. War halt praktisch. Aus der Tür raus und los. Anfangs war es nur eine halbe Stunde am Wochenende. Dann absolvierte ich meine Hausrunde bereits mehrmals die Woche.

Lieblingslaufrunde Roscheider Wald

Na ja, und dann war da an einem Samstagmorgen im Juni 2012 dieses Zelt vor der Porta Nigra, an dem ich bei einem Stadtbummel zufällig vorbeischlenderte. Da konnte man sich für einen 10 km Volkslauf anmelden. Interessant. Das könnte ich schaffen, auch wenn ich mich bislang an diese Distanz noch nicht so recht rangetraut hatte. Ganz spontan meldete ich mich für den Trierer Stadtlauf am folgenden Sonntagmorgen an. Als unerfahrener Anfänger steckte ich mir ein Ziel von unter einer Stunde. 57:35 stand am Ende auf der Uhr. Wow. Das war ein tolles Gefühl.

Nun war es um mich geschehen. Ich wollte mehr. Mein Nachbar, Lauflegende Hans, nahm mich kurzerhand mit ins Stadion, um mir zu zeigen, wie ich schneller werde. Na ja, da traf ich dann auf all die anderen Verrückten vom Lauftreff.

Lauffreunde, Trainingswochenende 2015, Foto: Andreas Kilian

Und dort wurde ich ganz schnell infiziert und mit Lauf-ABC, Intervalltraining, Kraftausdauerübungen und Tempoläufen vertraut gemacht. So purzelten schon bald jede Menge persönliche Bestzeiten und nach 3 Jahren stand der erste Marathon auf dem Plan.

 

Neue Bestzeit beim Flutlichtmeeting 2014, Foto: Benjamin Kleinjohann

Auch jenseits von Wettkämpfen ist es für mich sehr erfüllend, mich an der frischen Luft zu bewegen, die Natur zu genießen und die Seele baumeln zu lassen.

Herbstimpressionen Lustadt

Das klappt vor allem bei gemütlichen, lockeren Läufen. Das geht auch alleine sehr gut. Nicht selten sind mir in solchen Situationen gute Ideen zur Lösung beruflicher oder persönlicher Herausforderungen in den Sinn gekommen. Aber noch mehr Spaß macht es in der Gruppe mit Freunden.

Und das ist vielleicht die wichtigste Dimension des Laufens. Ich habe durch das Laufen so viele nette Menschen kennengelernt und so viele Freunde gewonnen. Unzählige Gespräche habe ich mit meinen Lauffreunden geführt, die mich sehr bereichert haben. Das Gespräch reißt unter Lauffreunden eigentlich nie ab. Außer vielleicht, wenn es steil bergan geht. Aber dann überlasse ich das Reden halt einfach erprobten Bergläufern wie beispielsweise meine Lauffreundin Irene und beschränke mich aufs Zuhören. Zumindest bis ich überm Berg bin und es wieder bergab geht. Alles kein Problem.

Irene hat gut lachen: Es geht aufwärts, Trainingswochenende 2014; Foto: Andreas Kilian

Neben dieser sozialen Dimension spielt für mich zugegebenermaßen der sportliche Aspekt, das Sich-Messen mit anderen, eine wichtige Rolle. Vor allem aber geht es mir darum, mich an meinem eigenen Leistungsvermögen zu messen und meine persönlichen Grenzen auszutesten. Natürlich verschieben sich diese Grenzen im Laufe des Lebens. Das ist nicht entscheidend. Wichtig ist mir, immer mein Bestes zu geben.

Kräftemessen, Trainingswochenende 2015; Foto: Andreas Kilian

Das geht natürlich nur durch intensives Training. Von nix kommt nix. Und deswegen ist mir das Stadiontraining mit meinen Sparringspartnern unter Anleitung von Trainer Andreas so wertvoll: Abwechslungsreich und optimal am Wettkampfjahr ausgerichtet: Im Winter liegt der Fokus auf Kraftausdauer und Körperstabilisation. Mit Beginn der Wettkampfsaison geht es dann verstärkt um Schnelligkeit und Tempohärte.

 

 

Von nix kommt nix, Trainingswochenende 2015; Foto: Andreas Kilian

Diese intensiven Trainingseinheiten kann man natürlich auch für sich alleine machen. Aber wer schon einmal versucht hat, eine persönliche Bestzeit ohne Sparringspartner zu erzielen, wird feststellen, dass es absolut nichts Motivierenderes gibt als eine intensive Einheit mit Lauffreunden, die etwa das gleiche Leistungsniveau haben.

Gleich geht’s los, Ruwer-Riesling-Lauf 2016, Foto: Claudia Simon

Zur Befriedigung meines Läufer-Egos habe ich nach einem krankheitsbedingt einigermaßen verkorksten Saisonende einmal versucht, noch einen versöhnenden Abschluss hinzukriegen. Leider gab es keine geeigneten Wettkämpfe mehr. Ich stand ganz gut im Saft und wollte mir beweisen, dass ich 10 Kilometer in einer 44er Zeit laufen kann. Also habe ich mich alleine auf den Weg zu meiner flachen Lieblingsstrecke an der Saar gemacht, um nach dem notwendigen Warmlaufen einfach mal eine Jahresbestzeit rauszuhauen.

Saar-Mosel Laufrevier; Foto: Ralph-Peter Renné

Um es kurz zu machen: nach 5 km habe ich enttäuscht abgebrochen, nachdem ich schon 22:30 auf der Uhr hatte und bereits total am Limit war. Die besten Zeiten kann man eben nur in der Gruppe mit Gleichgesinnten erreichen. Dazu braucht man Lauffreunde.

Für gute Zeiten braucht man gute Freunde, Bitburger Stadtlauf 2016

Ein solches ultimatives Erfolgserlebnis mit meiner Lauffreundin Petra hatte ich beim Trierer Stadtlauf im Juni 2018. Dieser Halbmarathon gehört jetzt zu den absoluten Höhepunkten meiner Läuferkariere. Warum? Petra und ich hatten spontan entschieden mitzumachen und gemeinsam zu laufen. Unser heimliches Ziel war, die 100-Minuten-Grenze zu knacken. Das wäre dann Petras heiß ersehnte persönliche Bestzeit gewesen.

Wir waren beide unsicher, ob wir es schaffen konnten, wollten uns aber soweit wie möglich gegenseitig unterstützen. Ich hatte nicht wie in den letzten Jahren für diesen Wettkampf trainiert: Ich hatte die Monate zuvor nur Läufe bis maximal 15 Kilometer absolviert. Aber ich stand ganz gut im Triathlontraining, so dass ich davon ausging, über genügend Grundausdauer für die Distanz zu verfügen. Eine Pace von 4:44/km hatte ich bei meiner letzten Olympischen Distanz nach 1,5 km schwimmen und 40 km Radfahren auf 10 km geschafft. Dann könnte diese Pace vielleicht auch bei einem Halbmarathon ohne spezifisches Training möglich sein.

Und was soll ich sagen: Es lief. Es lief von Anfang an richtig gut. Für uns beide. Wir liefen zusammen. Bis Kilometer 17 oder so. Die Beine waren jetzt schon schwer. Die Kilometerzeiten wurden zunehmend länger. Der herausgelaufene Zeitpuffer war fast komplett aufgezehrt. Bei mir lief es noch richtig rund. Aber Petra war schon ziemlich platt und fiel zurück.

Sollte ich meine Lauffreundin sich selbst überlassen? Ich wusste, Petra hätte volles Verständnis dafür, wenn ich mein Rennen durchzöge. Das war immer unsere Absprache. Im Zweifelsfall trennen wir uns, wenn einer schwächelt. Letztendlich läuft jeder sein eigenes Rennen.

Aber an diesem Tag war mir nicht danach. An diesem Tag, in diesem Moment, bei Kilometer 17 oder so, entstand ein anderes Zielbild in meinem Kopf: Ich wollte meiner Lauffreundin ein guter Pacemaker sein. So wie Michael es für mich vor 2 Jahren beim Marathon in Düsseldorf war. Ich wollte Petra helfen, endlich diese verdammte 100-Minuten-Marke zu knacken. Ich spürte, dass meine Beine das heute hergaben. Also blieben wir zusammen, wollten es gemeinsam zu Ende bringen.

Und wir zogen es weiter durch. Immer das Ziel vor Augen. 1:39:59 und keine Sekunde länger. Die letzten Kilometer waren hart. Bei km 20 lagen wir 5 Sekunden hinter unserer Zielzeit zurück. Ich fühlte mich immer noch überraschenderweise gut, aber Petra war jetzt körperlich jenseits ihres Limits.

Konnte sie auf dem Letzten Kilometer noch die letzten Kraftreserven mobilisieren? Doch das sind die Momente, in denen Petra ihre mentale Stärke ausspielt. Dank ihres unbändigen Willens gelang es mir, sie auf der Zielgeraden zu einem letzten Kraftakt zu motivieren: „Willst Du heute Deine Bestzeit laufen? Dann musst Du Dich jetzt zusammenreißen und noch einen Zahn zulegen.“

Uns fehlten nur ein paar Sekunden, die wir herauslaufen mussten. Aber nach 21 Kilometern fühlen sich Sekunden wie Minuten an. Ich hatte die Uhr genau im Blick. Ich wusste, es würde verdammt eng werden. Mit einem fulminanten Endspurt auf den letzten 300 Metern flogen wir dem Ziel entgegen. Hand in Hand überquerten wir überglücklich die Ziellinie und beendeten diesen Gänsehaut-Halbmarathon in 1:39:54.

Gänsehaut pur, Trierer Stadtlauf 2018, Foto: go4it

Dieser Wettkampf war für uns beide eines der herausragendsten Highlights unserer Läuferkarriere. Emotion pur. So etwas erlebt man nur mit echten Lauffreunden …

Du bist auf der Suche nach solchen Lauffreunden? Unser Lauftreff der TG Konz hat eine ganze Menge davon.

Herzlich willkommen.