Laufbericht vom Gerolsteiner Stadtlauf
Stell Dir vor, Du läufst einen Wettkampf und keiner läuft mit. Schön blöd, oder? Klar hätte das auch Vorteile: Du wärst nicht nur unangefochten Erster in Deiner Altersklasse, sondern darüber hinaus sogar Gesamtsieger. Wäre aber vermutlich doch eher langweilig. Und außerdem: Du würdest mit hoher Wahrscheinlichkeit keine persönliche Bestzeit laufen. Denn dazu braucht man Freunde.
Laufkollegen, mit denen man sich messen und an denen man sich reiben kann. So werden Spitzenzeiten gemacht. Im Nahkampf sozusagen. So macht laufen richtig Spaß. Und so läuft man gegeneinander und gewinnt miteinander. So wie wir vier: Irene, Michael, Peter und Matthias. Vier Freunde. Vier gewinnt.
Beispiel gefällig? Samstag, 20. Juni 2015, Stadtlauf Gerolstein.
1. Runde
Irene:
In der Kurve schiele ich kurz um die Ecke: Wo sind Matthias und Michael. Ein paar Meter hinter mir. Oje, bei Matthias‘ Endspurt hat er mich bestimmt bis zum Schluss.
Matthias:
Typisch Irene: Sie wollte eigentlich zu Beginn mein Tempo laufen, doch nach einem Kilometer sehe ich sie nur noch von hinten, obwohl ich ziemlich flott unterwegs bin. Peter ist bei ihr. Und Michael? Der war beim Start hinter mir. Vermutlich geht er es heute zurückhaltender an. Hat seine Lektion in Oberweis gelernt.
Peter:
Habe mir wieder vorgenommen, mit Irene zu laufen. Bei der Wende sehe ich, dass Matthias und Michael die Sache langsamer angehen. Aber das will nix heißen. Auf der zweiten Hälfte können die nochmal gefährlich werden. Beim Bergablaufen setze ich mich etwas von Irene ab. Wer weiß, wofür es gut ist.
Michael:
Ich und meine Pulsuhr. Bloß nicht wieder zu schnell anlaufen. Nach ca. 500 Meter keiner der Laufkollegen mehr zu sehen. Wird ein einsamer Lauf. Na ja, Pace 4:20. Das ist schon schneller als ich wollte. Also noch mal runter auf 4:25er Schnitt. Kurz vor der Wende kann ich Matthias dann doch noch sichten. Prima.
2. Runde
Peter:
Konnte mich tatsächlich etwas von Irene absetzen. Jetzt geht es bergauf. Will versuchen, den Abstand so beizubehalten, um bergab noch ein bisschen mehr Boden auf Irene gutzumachen.
Irene:
Peter muss ich laufen lassen. Der ist heute super schnell. Aber Michael und Matthias versuche ich auf Distanz zu halten. Vorsprung habe ich weiter ausgebaut. Gut so.
Michael:
In der zweiten Runde wird der Abstand zu Matthias beim Anstieg deutlich kürzer. Pace 4:30. Und das bergauf. Motivation und Glücksgefühl pur 😊. Die Ernüchterung folgt sofort als es runter geht. Der Abstand vergrößert sich deutlich.
Matthias:
Abstand zu Irene scheint noch größer geworden zu sein. Peter ist längst weg und von Michael keine Spur. Nach der Wende sehe ich ihn auch nicht bei den Läufern, die hinter mir die Kurve kratzen. Das kann nur zweierlei bedeuten: Entweder er ist weit zurückgefallen oder er ist mir ganz dicht auf den Fersen. Ich fürchte letzteres.
3. Runde
Peter:
Bei der Wende sehe ich, dass ich den Vorsprung auf Irene weiter ausbauen konnte. Matthias und Michael sehe ich nicht mehr. Ich ziehe auf der Bergaufstrecke das Tempo noch etwas an. Ich muss ja nur noch einmal da hoch.
Irene:
Jetzt nicht schlapp machen. Matthias und Michael sind nach wie vor auf Abstand. Durchhalten, durchhalten, durchhalten.
Michael:
Der dritte Anstieg gehört mir. Pace 4.30. Ich überhole Matthias. Bloß nicht nachlassen jetzt. Ein Blick auf die Uhr: Pace und Puls ok.
Matthias:
Die Frage bei der letzten Runde, wie weit Michael hinter mir ist, hat sich erübrigt. Er zieht in der Mitte des Anstiegs an mir vorbei. Klar, der verflixte 7. Kilometer. Aber nee, Michael, so leicht mache ich es Dir nicht. Ich beiße die Zähne zusammen und schaue, dass ich einigermaßen an ihm dranbleibe. Noch liegt mehr als eine ganze Runde vor uns. Da kann noch einiges passieren.
4. Runde
Peter:
Von meinen 3 Freunden ist nichts mehr zu sehen. Stattdessen höre ich einen anderen Läufer davon reden, dass noch eine 42 er Zeit drin ist. Das ist Ansporn genug. Ich hau nochmal alles rein.
Irene:
Oje, Matthias und Michael haben mich im Blick. Jetzt Gas geben, Matthias läuft den letzten Kilometer sicher wieder, was das Zeug hält.
Michael:
Der letzte Anstieg ist sehr einsam. Kein Motivationsläufer vor mir, aber Matthias hinter mir. Ich sehe ihn zwar nicht, aber habe eine Ahnung. Und wer Matthias kennt, weiß, dass der letzte Kilometer sein schnellster wird. Kaum zu Ende gedacht, ist er neben mir, kraftvoll, dynamisch und ich dagegen …? Glückwunsch, kann da nicht mithalten.
Matthias:
Die letzte Runde hinter Michael habe ich versucht, etwas Kräfte zu sparen. Jetzt kommt mein Gegenangriff. Michael macht es mir nicht leicht. In Oberweis zeigte er irgendwie deutlich weniger Gegenwehr. Ich muss auf der Bergabpassage alles rausholen, um an ihm vorbeizukommen. Aber ich schaffe es. Tempo, Tempo, Tempo. Jetzt bin ich wieder der Gejagte. Ich will noch etwas Abstand gewinnen, um auf der Zielgeraden nicht doch noch eine Überraschung zu erleben.
Zieleinlauf
Peter:
Wow. Geschafft. Eine 42er Zeit. Meine bisherige Jahresbestzeit. Super. Wer hätte das gedacht …😊
Irene:
Das war echt knapp. Kaum im Ziel, fegen auch schon Michael und Matthias über die Matte. Da hätten die mich bald noch gefangen. Aber nur fast 😉.
Michael:
Kurz vor dem Ziel ist da plötzlich (und völlig unerwartet) ein weiterer Läufer zwischen Matthias und mir. Ein Blick auf die Uhr, Puls 173. Da geht noch was, den schnapp ich mir. Kurzer Anzug, vorbei. Da ist noch mehr drin! Ein weiterer Blick, Puls 175, ENDSPURT. Und wenn ich schon dabei bin, ziehe ich halt auch noch an Matthias vorbei. Klappt auch noch. Ob sich hier wohl das intensive Intervalltraining bemerkbar macht? 😀
Matthias:
Aus dem letzten Loch pfeiffend sehe ich 20 Meter vor dem Ziel Irene über die Ziellinie laufen. Nein, ich habe ihr nicht selbstlos den Vortritt gelassen. Sie war einfach schneller und hat den Abstand rechtzeitig weit genug ausgebaut. Ganz zu schweigen von Peter, der vermutlich schon an seinem 0,0er nippt. Wenigstens ist Michael hinter mir. Das heißt, er war es bis gerade eben. Jetzt schiebt er sich erbarmungslos an mir vorbei und huscht über die Matte, bevor ich auch nur die Chance habe, an einen
Konter zu denken. Michael, Du warst heute einfach stärker als ich, und ich vermute, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Aber das wirst Du Dir jedes Mal hart verdienen müssen 😉.
Wieder etwas zu Atem gekommen, klatschen sich die vier Freunde ab, erlauben sich ein alkoholfreies Bierchen und lassen den Lauf Revue passieren. Irgendwie sind alle Gewinner, die Jäger und die Gejagten. Alle haben voneinander profitiert und sich gegenseitig zu guten Zeiten gepuscht. Daraus kann man nur einen Schluss ziehen: Vier gewinnt. 😀😀😀😀
Ein Bericht von Irene, Michael, Peter und Matthias
(vielen Dank auch an den Fotografen Holger Teusch)
Ein super Bericht!
Echt klasse und toll zu lesen!
Weiter so Laufkameraden!
Hi, ihr habt Thomas Ehrmann vergessen. Der lief in einer tollen Zeit von 00:43:22 !!!
Danke für den Hinweis, Ute. Du hast natürlich recht. Eigentlich muss es heißen „5 gewinnt“ oder – wenn wir uns die Ergebnistabelle ansehen – „10 gewinnt“. So viele bisher registrierte TG Läufer haben nämlich mitgemacht und sind dabei super Zeiten gelaufen, einige sogar persönliche Bestzeiten.
Glückwunsch an alle. Wir sind alle Gewinner. Wäre in der Tat interessant zu erfahren, was Euch allen so durch den Kopf gegangen ist während der 4 Runden