Tagebuch eines Laufabstinenten
Aus. Vorbei.
Das war’s mit Laufen. Fürs Erste jedenfalls. Jetzt ist Schluss. Es geht nicht mehr. Der rechte Fuß tut zu sehr weh. Beim Volkslauf in Oberweis bin ich so voller Adrenalin, dass ich davon eher wenig spüre.
Aber anschließend umso mehr. in den nächsten Tagen wird jeder Schritt zur Qual. Das kann so nicht weitergehen. Und von alleine geht das nicht mehr weg. Dafür schleppe ich es schon zu lange mit mir rum.
Im Januar fängt es schon an zu zwicken. Ein klein wenig nur. Kein Grund, das Laufen einzuschränken. Schließlich bin ich ja voll im Marathontraining. Da lass ich mich doch durch so ein bisschen Schmerzen nicht vom Laufen abhalten. Wo kämen wir denn da hin. Das wäre ja noch schöner, wenn ich durch so ein kleines Wehwehchen mein Projekt Marathon Debut verschieben würde. Nee, nee. Das zieh ich durch. Was mich nicht umbringt, macht mich nur härter.
Laufpause, 1. Woche
Ja, man kann Schmerzen tatsächlich über einen gewissen Zeitraum ignorieren. Das mit dem Marathon hat ja auch prima geklappt.
Doch kaum ist der geschafft, geht’s bergab. Irgendwann lassen sich die Schmerzen nicht mehr einfach ignorieren. Manchmal braucht die Vernunft halt etwas länger, um sich durchzusetzen. Aber jetzt steht mein Entschluss fest. Ich werde pausieren.
„Moment“, meldet sich eine Stimme in mir zu Wort: „Und was ist mit dem Bitcup, den Du doch so erfolgreich begonnen hast? Und der Trierer Stadtlauf? Da wolltest Du doch eine neue Bestzeit laufen.“
Hm. Ja, ich weiß. Ok. Kompromiss: Zwei Wochen Laufpause sofort. Keinen Schritt. Nur Aquajogging, schwimmen und Fahrrad fahren. Dann Gerolsteiner Stadtlauf und die Woche darauf Halbmarathon in Trier. Danach ist wieder Schluss. Abgemacht? „Abgemacht!“
Laufpause, 2. Woche
Wasser ist nicht mein Element. Ich kann zwei Wochen am schönsten Meer verbringen, ohne auch nur ein einziges Mal meinen Bauchnabel mit dem nassen Element zu benetzen. Wie um alles in der Welt soll ich es jetzt schaffen, meine Laufeinheiten anstatt im Wald oder entlang der Saar jetzt im Hallenbad zu absolvieren. 25 Meter hin und wieder zurück. Und das Ganze bis zu zwei Stunden lang. Toll.
Aber was muss, das muss. Irgendwie muss ich die fehlenden Laufeinheiten ja kompensieren. Und irgendwie geht es. Als ich den Bogen erst einmal raus habe, macht es fast sogar ein bisschen Spaß. Also: Nicht jammern. Laufschuhe gegen Schwimmgurt tauschen und loslaufen. Drei mal die Woche. Wenn schon denn schon … Will ja in Gerolstein und Trier nicht ganz untrainiert am Start stehen.
Laufpause, 3. Woche
Die Stadläufe in Gerolstein und Trier sind Geschichte. Gerolstein läuft eigentlich ganz gut. Ganz vernünftige Zeit, wenn ich bedenke, dass ich über zwei Wochen keinen Meter gelaufen bin.
Aber nach dem Wettkampf tut mir alles weh. Noch zwei Tage danach fühlen sich meine Beine an, als wäre ich noch nie in meinem Leben gelaufen. Komisch, wie schnell das geht. 14 Tage nur Training im Wasser und schon haben die Beine verlernt, wie sich Asphalt unter den Füßen anfühlt.
Nach zwei, drei kleinen, homöopathischen Regenerationsläufchen bin ich bereit für den Halbmarathon in Trier. Denke ich. Bis wenige Kilometer nach dem Start. Dann wird mir klar, dass es heute wohl kaum zu einer guten, geschweige denn zu einer Bestzeit reichen wird. Wie konnte ich nur so naiv sein? In den letzten zwei Monaten hatte ich aufgrund meiner Fußprobleme nur einen einzigen Lauf über 20 Kilometer und nur wenige über 15. Auf der zweiten Hälfte des Halbmarathons wird aus dieser Naivität schmerzhafte Erfahrung.
Auf diese Erfahrung hätte ich eigentlich verzichten können. Das denkt auch mein Fuß, und er bringt dies auch deutlich zum Ausdruck. So als wolle er mich an meine Abmachung erinnern. Ja, ich weiß. Nach dem Trierer Stadtlauf werden die Laufschuhe wieder weggestellt. Und dieses Mal nicht nur 14 Tage, sondern so lange, bis ich schmerzfrei bin. Ob ich das tatsächlich durchhalte?
Laufpause, 4. Woche
Das Wetter ist herrlich. Wie schön wäre es, jetzt locker durch den Wald zu traben. Wurzelweg, ich vermisse Dich. Liebe Laufkollegen, Ihr fehlt mir. Mir kommen Bilder in den Kopf: Vom Bahntraining, wo ich bei der letzten Einheit völlig außer Atem über die Ziellinie stolpere, von dem Tempolauf an der Mosel mit meinen ziemlich besten Lauffreunden, vom Zieleinlauf bei meinem ersten Halbmarathon, von den Gesprächen mit guten Freunden beim „Langen“, von der harten Trainingseinheit vor dem Marathon auf der Kanzemer Runde bei strömendem Regen, von den lockeren Regenerationsläufen am Sonntagmorgen, von dem anstrengenden Trainingswochenende im Februar …
Das alles fehlt mir sehr. Ob ich nicht doch mal eine klitzekleine Runde …? So ganz gemütlich, meine ich? Nur so ein bisschen, gaaaanz locker? – Nein. nein. nein. Ich habe es meinem Fuß versprochen. Also halte ich weiter durch und drehe tapfer meine Runden im Wasser.
Laufpause, 5. Woche
Ich glaube, ich habe Entzugserscheinungen. Ich sehe überall Läufer. Wo ich auch hinschaue – Läufer. An der Saar, am Moselufer, im Tälchen, in der Trierer Innenstadt. Überall Läufer … Gab es diese Heerscharen von Läufern schon immer hier in der Gegend? Die machen das doch extra. Die wollen mir doch nur den Mund wässrig machen.
Hab ich nicht sogar letzte Nacht von denen geträumt? Während ich aquajoggend im trüben Wasser der Saarmündung treibe, kommen die Läufer mitleidig lächelnd nacheinander zu mir gelaufen und rufen mir Unanständigkeiten zu: „Ach komm schon. So ein kleines lockeres Läufchen kann doch nichts schaden.“ – „Lass Dich nicht so hängen.“ – „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ – „Du hast Dich doch jetzt lange genug ausgeruht.“ – „Es wird jetzt doch langsam Zeit, wieder einzusteigen, wenn Du in der Saison noch was reißen willst.“
Ja, ja. Redet Ihr nur. Aber es ist mein Fuß und meine Saison und meine Entscheidung und überhaupt. Nein, ich bleibe standhaft und ziehe meine Laufaskese weiter durch. Basta. Das wäre doch gelacht.
Laufpause, 6. Woche
Endlich MRT-Termin. Ich liege in der Röhre und darf mich etwas über 20 Minuten nicht bewegen. Wie kriege ich die wohl rum, bei meinem Bewegungsdrang? Ich stelle mir vor, ich mache einen schnellen 5000 Meter Lauf beim Flutlichtmeeting in Trier. Das kommt mit den 20 Minuten ja knapp hin.
„Nach einem Kilometer“ wird mir klar, dass das keine gute Taktik ist, um ganz entspannt liegen zu bleiben und die Beine keinen Milimeter zu bewegen. Also beende ich meinen fiktiven Lauf und zähle noch 15 Mal bis auf 60. Es klappt.
Das MRT-Ergebnis überrascht mich nicht: dauerhafte Entzündung der Sehne im rechten Fuß. Im Medizinerdeutsch: „chronische plantare Fasziitis“. Typische Läuferverletzung. Zum Glück ist nichts gerissen oder so.
„Wie lange habe ich denn noch?“, frage ich den Arzt und meine natürlich, wie lange es wohl noch dauert, bis ich wieder laufen kann. Die ernüchternde Antwort: „… einige Wochen bis wenige Monate“. Hat der eben etwa „Monate“ gesagt? Hat er tatsächlich dieses böse Wort benutzt? Hat er! Meine Ohren haben es genau gehört. Aber mein Kopf will es nicht wahrnehmen. Der bastelt sich seine eigene Theorie: „Was soll’s? Sicher ist mein Fuß die anatomische Ausnahme, und ich bin schon in wenigen Tagen wieder ganz fit.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Laufpause, 7. Woche
„Herr, schenke mir Geduld. Aber schnell, ich kann nicht warten.“ Tja, die Geduld. Die gehörte noch nie zu meinen Kernkompetenzen. Ich dehne und massiere und kühle und dehne und massiere und kühle und dehne … Das muss doch Eindruck machen auf so einen Fuß. Macht es. Ein bisschen jedenfalls. Ich bin mittlerweile schon so sensibel, dass ich bei jedem Schritt genau erspüre, wo genau was wie weht tut. Und gestern war er da, der Augenblick. Ich bin 50 Schritte gegangen, ohne auch nur den geringsten Schmerz zu spüren.
Abends dann Kontrolle. Daumendruck auf die Ferse. Aha, da ist er, der Schmerz. Ein bisschen nur. Ich muss schon etwas fester drücken, um ihn stärker werden zu lassen. Vor ein paar Wochen hat es gereicht, die Stelle nur anzuschauen, da tat sie schon weh. Na also. Wird doch. Gleich noch etwas kräftiger durchmassieren, damit es ein bisschen schneller geht mit der Regeneration.
Aber damit ist mein Fuß jetzt gar nicht einverstanden. Das demonstriert er mir am nächsten Tag. Da lässt er mich die Entzündung nämlich wieder deutlich stärker bei jedem Schritt spüren. „So geht das nicht“, meint er. „Du musst schon Geduld haben. Und kannst den Heilungsprozess nicht willkürlich beschleunigen. Lass Dir Zeit, dann wird das schon. Glaube mir, es ist besser so. Also Füße hoch und abwarten.“
Wahrscheinlich hat er recht, mein Fuß. Obwohl ich es ja nicht so sehr mag, wenn er alles besser weiß. Aber er sitzt nun mal am längeren Hebel …
Ich habe keine Ahnung, über wie viele weitere Wochen sich dieser Leidensbericht noch strecken wird. Vielleicht nochmal sieben Wochen? Vielleicht nur noch zwei? Oder aber auch den Rest dieses Jahres? Ich weiß es nicht, und das ist gut so. „Du kannst, denn Du sollst“, sagt der große Philosoph Immanuel Kant. Dann nehme ich mir das mal als Vorsatz für die nächsten Wochen der Entsagung. Ganz gleich wie viele davon noch kommen werden.
Fortsetzung folgt.
So ne Entzündung ist wohl mit die übelste „Kleinverletzung“, die man haben kann. Ich fühle mit Dir, bei mir ist es auch immer mal wieder ne Sehne im Knie oder Fuß. Fahrrad geht manchmal auch noch ganz gut, ansonsten kennst Du ja schon das PECH-Programm … Wenn Du Deinen ersten Wiedereinsteigerlauf machst sag Bescheid, dann komm ich gerne mit und wir können ein bisschen gemeinsam leiden … und bis dahin gute und vor allem schnelle und komplette Besserung!
Mit der PECH-Methode (Pause, Eis, Compression, Hochlagern) habe ich wohl Pech. Die greift ja lediglich während der ersten 48-72 Stunden nach der Verletzung. Hätte ich vielleicht Anfang des Jahres besser befolgt. Jetzt ist meine Verletzung chronisch. Möge sie all jenen als Mahnung dienen, lieber gleich zu Anfang ein paar Tage als später dann ein paar Wochen oder Monate zu pausieren.
Danke für die guten Wünsche und auch Dir schnelle Genesung
Tja, wenn es denn wirklich so lustig und humorvoll wäre wie es denn klingt, eben die typische „Mathiasschreibe“ :-)! Matthias, Du fehlst uns im Training und bei den Läufen!
Heute ist nicht alle Tage. Ich komm‘ wieder, keine Frage. Und bis dahin, nehme ich es mit Humor. Das hilft
Das ist genau die richtige Einstellung.
Hab gemerkt, dass ich schon länger nicht mehr online war! :/
🙂